ZB Behinderung & Beruf 2/2020

9 ZB 2 I 2020 RECHT Vorstellungsgespräch Diskriminierung Leitsatz Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer hat nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf eine Beschäftigung in ausschließlicher Tages- schicht in einemDreischichtbetrieb, wenn diese Beschäftigung aus behinderungsbedingten Gründen erforderlich und für den Arbeitgeber zumutbar ist. AG Hamburg, Urteil vom 03.07.2019, 17 Ca 41/19 Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die Parteien streiten um die Lage der regelmäßigen Arbeitszeit. Der im Jahr 2000 geschlossene Arbeitsvertrag sieht vor, dass die Arbeitszeit im Rahmen eines Dreischichtbetriebes zu leisten ist. Aufgrund einer Erkrankungwurde der Kläger spätermit ärztlichemAttest von der Nachtschicht befreit. Der Arbeitgeber setzte den Kläger daraufhin bis auf Weiteres im Zweischichtmodell ein. Eine Überprüfung der Maßnahme wurde empfohlen. Laut einer Leitsätze Für eine Unterrichtung nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugäng- lichmacht. Esmuss vielmehr unverzüglich einHinweis ergehen, ob und welcher der Bewerber schwerbehindert ist. Die Klägerin ist als schwerbehinderte Bewerberin nicht auto- matisch deswegen offensichtlich ungeeignet für die ausge- schriebene Stelle nach der Vergütungsgruppe E 10 TV-L im Sinne von § 165 Satz 4 SGB IX, weil sie über den im Anforde- rungsprofil verlangten Hochschulabschluss nicht verfügt, zumal sich diese Voraussetzung weder aus den Eingruppie- rungsmerkmalen noch aus dem Anforderungsprofil selbst ergibt. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.11.2019, 15 Sa 949/19 Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die Parteien streiten über die Entschädigungwegen einer behauptetenDiskriminie- rung aufgrund einer Schwerbehinderung. Die schwerbehinder- te Klägerin ist staatlich anerkannteGrafikdesignerin. Sie bewarb sich in einem elektronischen Bewerbungsverfahren erfolglos auf eine beimbeklagten Land ausgeschriebene Stelle (Entgelt- gruppe 10 TV-L). In der Ausschreibung wurden ein Studium Kommunikationsdesign, Grafikdesign und eine mindestens dreijährige Berufserfahrung als Grafikerin oder Kommunikati- onsdesignerin angeführt sowie wegenweiterer fachlicher und außerfachlicher Anforderungen auf ein ergänzendes Anforde- rungsprofil verwiesen. Imelektronischen Bewerbungsverfahren Zusatzvereinbarung zum Dienstvertrag im Jahre 2017 sollte der Kläger in einem neuen Arbeitsbereich für ein Jahr in Mit- telschicht arbeiten. Der Kläger, der in der Zwischenzeit aufgrund einer Trennung von seiner Ehefrau die Betreuung der beiden gemeinsamen Kinder gewährleisten musste, lehnte den nach Ablauf des Jahres vomArbeitgeber verlangten Einsatz imDrei- schichtbetrieb weiterhin aus gesundheitlichen Gründen ab. Das Arbeitsgericht (AG) hält den Anspruch des Klägers auf Befreiung aus der Schichtarbeit nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) IX für begründet. Aus der ärztlichen Stellungnahme gehe klar hervor, dass der Kläger nicht inNacht- schicht arbeiten kann. Der Auffassung des beklagten Arbeitge- bers, die Herausnahme aus der Nachtschicht sei nicht aus behinderungsbedingten, sondern aus familiären Gründen erforderlich, folgt das Arbeitsgericht nicht. Die Zumutbarkeit des Einsatzes ausschließlich in Tagesschicht müsse bejaht werden, zumal der Kläger bereits ein Jahr lang außerhalb des Schichtrhythmus eingesetzt war. Warum dies nicht weiter möglich sein solle, habe die Beklagte nicht vorgetragen. ■ wird die Schwerbehindertenvertretung (SBV) laufend über ein Portal darüber informiert, für welche Stellen Ausschreibungen vorliegen undwie die Anforderungsprofile lauten. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist wurden die Angaben und Unterlagen für die beteiligten Fachbereiche und Gremien einsehbar. Die Schwerbehindertenvertretung wurde über alle vorliegenden Bewerbungen informiert. Ein gesonderter Hinweis, dass sich eine schwerbehinderte Person unter den Bewerbern befand, erfolgte nicht. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin, das der Klägerin eine Entschädigung zusprach, wies das Landesar- beitsgericht (LAG) zurück. Es hält eine Diskriminierung aus zwei Gründen für gegeben: Ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) liege vor, weil das beklagte Land gegen § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX verstoßen habe. Die SBV wurde entgegen dieser gesetzlichenVerpflichtung nicht unmit- telbar darüber informiert, dassmit der Bewerbung der Klägerin eine Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen vorlag. Für das Erfüllen der gesetzlichen Verpflichtung reiche es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der SBV elektronisch zugänglich mache und ihr die Möglichkeit einräume, nach Durchsicht zahlreicher Dokumente die erfor- derlichen Informationen selbst zu finden. Es müsse vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der Bewer- ber schwerbehindert ist. Darüber hinaus stehe nicht fest, dass die Bewerberin nicht offensichtlich ungeeignet für die ausge- schriebene Stelle nach derVergütungsgruppe E 10TV-L sei, weil sie über den im Anforderungsprofil verlangten Hochschulab- schluss nicht verfüge. Diese Voraussetzung ergebe sich weder aus den Eingruppierungsmerkmalen noch aus dem Anforde- rungsprofil selbst. ■ Schichtarbeit Zumutbarkeit

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