ZB Behinderung & Beruf 2/2020

ZB 2 I 2020 13 Foto:Timo Bühring Foto:Timo Bühring SCHWERPUNKT Die zentrale Frage für Jobcoach Matthias Finke (o. re.): „Welche Tätigkeiten kann Thomas Hullermann von anderen Mitarbeitern übernehmen?“ Ein Arbeitsplatz wie für ihn geschnitzt Praxisbeispiel Jobcarving M atthias Finke schnitzt. Nicht nur in der Werkstatt der Egon Herbert GmbH & Co. KG, wenngleich er dort als Jobcoach auch mit Holz arbeitet. Der Familienbetrieb aus Emsdetten ist spezi- alisiert auf hochwertige Haustüren und Fenster, die für pittoreske Altbauten, Fachwerkhäuser und sogar Schlösser gefragt sind. In erster Linie schnitzt Mat- thias Finke das Profil eines Arbeitsplatzes, damit dieser zu einem langjährigen Mit- arbeiter passt. FürMatthias Finke lautete die zentrale Frage dabei: „Welche Tätig- keiten kann Herr Hullermann von ande- ren Mitarbeitern übernehmen, damit er sein Arbeitspensum erfüllen kann, er für den Betrieb einen Mehrwert hat und dabei gesund bleibt?“ Jobcarving nennt sich diese Methode (engl. to carve = schnitzen). Fast zwei Jahre Ausfallzeit Thomas Hul- lermann fügt nun mit drei Kollegen Flü- gel, Blendrahmen, Beschläge und Glas- scheibenzumfertigenFenster zusammen und überprüft in der Qualitätskontrolle die Rahmen auf Lackschäden und das Glas auf Kratzer. Einfach war diese Umstellung für den 41-Jährigen nicht. Denn nach seiner Tischlerausbildung stieg er innerhalb des Betriebs Herbert- Fenster zum Werkstattleiter auf, hatte ganz andere Aufgaben. Er koordinierte, organisierte und war der Mann mit dem Überblick. Dann erkrankte er schwer an Depressionen. Fast zwei Jahre lang fiel er seit Mitte 2017 aus. Nur unterbrochen durch einen zu ehrgeizigen Versuch der Rückkehr, der mit einer erneuten Erkran- kung endete. „Mittlerweile habe ich – auch dank Matthias Finke – gelernt zu akzeptieren, dass ich manche Sachen nicht mehr kann“, sagt Thomas Huller- mann, einst Leiter und jetzt einer von 36 Mitarbeitern. Es fiel ihm schwer, plane- risch zu denken und sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Ein großer Rückhalt war seinArbeitgeber. „Lieber ein gesunder, fachlich guter Herr Hullermann an vier Tagen und für 18 Stunden im Betrieb als ein kranker, fach- lich guter Herr Hullermann zu Hause.“ Auf diesen Nenner bringt es Geschäfts- führer Franz Herbert. Auch Personalleite- rinChristianeHinrichs betont: „Wir haben ihm von Anfang an den Rücken gestärkt, weil er uns nicht nur als Arbeitskraft, sondern auch als Mensch wichtig ist.“ Lob für flexiblen Betrieb Allein war die Wiedereingliederung jedoch nicht zu stemmen. Unterstützung holte sich die Personalleiterin beimLWL-Inklusionsamt Arbeit, genauer bei Petra Dicke. Im Kreis Steinfurt ist sie als Teil des Integrations- fachdienstes für die psychosoziale Bera- tung schwerbehinderter Menschen zuständig. Beide Seitenhaben schongute Erfahrungen miteinander gemacht, weil Herbert-Fenster schon seit Jahrzehnten einen Tischler mit einer Behinderung beschäftigt. „Dort gehtman sehr flexibel auf die Bedürfnisse behinderter Mitar- beiter ein“, lobt Petra Dicke, die dem Familienbetrieb bei der Beantragung von LohnkostenzuschüssenundThomas Hul- lermann beim Erwirken einer Erwerbs- minderungsrente half. Der praktische Teil der Hilfe besteht aus Jobcoachingmit Jobcarving-Anteilen. „Ich bin frohdarüber, dass ichwieder arbeiten kann“, sagt Thomas Hullermann. Und insbesondere bei kniffligen Fällen, Fens- teranfertigungen in ungewöhnlichen Formen zumBeispiel, ist sein Fachwissen weiterhin ein wertvoller Schatz für den Familienbetrieb. ■ Thomas Hullermann war Werkstattleiter einer Fensterbaufirma. Jetzt ist er dort ein Mitarbeiter unter vielen. Was nach Rück- schritt klingt, ist tatsächlich ein Erfolg – und der hat viel mit seinem Betrieb und Jobcarving zu tun.

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