ZB Behinderung & Beruf 2/2020

ZB 2 I 2020 L ukas Krämer ist der beste Beweis für das, was er selbst in einem seiner Videos sagt: „Viele stellen sich vor, dass geistig behinderteMenschendummsind – aber so ist es nicht.“ Im Gegenteil: Der 26-Jährige ist ein blitzgescheiter junger Mann, der neugierig ist, viel hinterfragt und seine Meinung klar äußert. Auch öffentlich. Dabei war er im Alter von vier Jahren an einer Hirnhautentzündung erkrankt, die Teile seines Sprachzentrums zerstörte. Er kanndeshalbweder lesennoch schreiben. Und: „IchwurdeoftwegenmeinesSprach- fehlers gehänselt“, erzählt Lukas Krämer. Dennoch stellt er sich nicht nur hinter, sondern auch mutig vor die Kamera. Seinem YouTube-Kanal „SakulTalks“ fol- gen mehr als 3.200 Abonnenten, seit Ende 2016hat er fast 400Videos gedreht. Darin klärt er auf, zum Beispiel über „Behinderung und Arbeitsbetrieb“. Er porträtiertMenschenmit verschiedenen Behinderungen („Wie ist das … Autismus zu haben?“), er vertritt seine Meinung („Stellt endlich mehr Menschen mit Behinderung ein!“). Er greift Themenwie das Bundesteilhabegesetz auf. Kurioses erstes Treffen in Berlin Vor allem aber trifft er Menschen, um sie zu inter- viewen. Einer dieser Menschen war im Mai 2017 Corinna Rüffer, die behinder- tenpolitische Sprecherin der Grünen. Inzwischen hat die Politikerin den jungen Filmemacher für das Team ihres Wahl- kreisbüros in Trier engagiert. Dabei war die erste Begegnung der beiden ein paar Monate zuvor noch kurios: Lukas Krämer war mit einer Gruppe auf Berlinfahrt, zu der jeder Bundestagsabgeordnete poli- tisch interessierte Menschen aus dem eigenen Wahlkreis einladen darf. Wäh- rend des Gesprächs mit Corinna Rüffer überkamden jungenMann eine bleierne Müdigkeit – er schlief ein und begann zu schnarchen. So laut, dass die 44-Jährige lachen musste. „Ich hatte damals noch Schlafapnoe“, erklärt Lukas Krämer. Nächtliche Atem- aussetzer führten dazu, dass er tagsüber oft völlig übermüdet war. Gelangweilt hatte Corinna Rüffer den 26-Jährigen damals also keineswegs. Umgekehrt hatte er sich in ihr Gedächtnis einge- brannt. „Wenn die erste Begegnung so skurril ist, vergisst man das so schnell nicht“, schmunzelt sie. „Sie ist echt nett und hat viele gute Ideen für Menschen mit Behinderungen“, fin- det Lukas Krämer. Ideen hat der Trierer auch und er will etwas bewirken. „Ich mache meine Videos, um aufzuklären und um Leute wachzurütteln. Vor allem diejenigen, die keine Behinderung haben“, sagt Lukas Krämer. Der Einsatz für den Mindestlohn in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) ist ihm eine Herzensangelegenheit. Er hat selbst in einer solchen Einrichtung gearbeitet und empfand die Bezahlung als – freund- lich formuliert – „nicht das Gelbe vom Ei“. Noch dazu fühlte er sich unterfordert. Glücksfall für alle Beteiligten Sein Leid klagte er Corinna Rüffer, mit der er nach der Schnarch-Episode über Facebook in Kontakt gebliebenwar. „Lukas hat gesagt: ‚Ich bin genervt von derWerkstatt‘“, erin- nert sich die Grünenpolitikerin. „Er hat gefragt, ob er für mich arbeiten könne. Ich hielt das für eine gute Idee. Denn ich wusste, dass er mit seinen speziellen Kompetenzen gute Öffentlichkeitsarbeit machen kann.“ Jetzt hat er bei Corinna Rüffer eine Fest- anstellung über 35 Stunden pro Woche, Lesen und schreiben kann Lukas Krämer nicht. Aber Videos produzieren. Darin ist er sogar so gut, dass er sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Lukas Krämer hat den Dreh raus Videoblogger REPORTAGE Interview mit seiner Chefin: Corinna Rüffer ist behindertenpolitische Sprecherin der Grünen Foto: Hans Krämer 6

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