ZB Behinderung & Beruf 3/2019

Foto:Thomas Brenner SCHWERPUNKT Zuhören, sich kümmern, aktivieren: für Annette Fröhlich eine befriedigende Aufgabe Praxisbeispiel „Ich lasse mich nicht unterkriegen“ Annette Fröhlich ist Diakonin und Sozialarbeiterin. Sie arbeitete viele Jahre in einemWohnheim für chronisch psychisch kranke Menschen. Wegen ihrer zunehmenden Sehschwäche beschloss sie 2014, sich beruflich neu zu orientieren. Heute ist sie in der Altenhilfe beschäftigt und betreut Heimbewohner. D iese Frau soll fast blind sein? Kaum vorstellbar, wennmanAnnette Fröh- lich dabei beobachtet, wie sie sich im Pflegeheim der Karl-Olga-Altenpflege in Stuttgart bewegt und zupackt. Sie eilt durch die Räume, spricht die Bewohner mit Namen an, hat für jeden ein liebes Wort, schiebt Rollstühle zur Seite und hilft mal eben schnell einer Bewohnerin, die Toilettentür zu öffnen. Die 54-jährige Frau strahlt viel Lebensfreude aus. Ihre fortschreitende Netzhauterkrankung Retinitis pigmentosa schränkt ihr Rest- sehvermögen zunehmend ein und hat ihre Lebensplanung ordentlich durchei- nandergerüttelt. „Klar ist es nicht toll, fast blind zu sein, aber ich lasse mich definitiv nicht unterkriegen“, lächelt sie. Ihre Diagnose bekam sie mit 27 Jah- ren. Die ersten Jahre konnte sie noch problemlos weiter ihrer Arbeit als Dia- konin und Sozialarbeiterin nachgehen. Jürgen Kempf, Fachberater für blinde und sehbehinderteMenschen beim Inte- grationsfachdienst in Stuttgart, beriet Annette Fröhlich damals bezüglich ihrer Erkrankung und den Arbeitgeber bei der behinderungsgerechten Gestaltung des Arbeitsplatzes mit technischen Hilfen wie Zoomtext, einemVergrößerungspro- grammfür Computer. „Mit fortschreiten- dem Krankheitsverlauf unterstützte ich Frau Fröhlich bei der Beantragung eines Mobilitäts- und Langstocktrainings über die Krankenkasse“, so Jürgen Kempf. Berufliche Neuorientierung „Während einer Kur mit entsprechender innerer Einkehr wurde mir dann klar, dass ich meinen psychisch kranken Klienten nicht mehr hundertprozentig gerecht werden kann“, blickt Annette Fröhlich zurück. Ihr Grad der Behinderung erhöhte sich auf 100,MerkzeichenBl (blind) undH (hilflos). Sieberät sichmit JürgenKempf und ihrem Arbeitgeber undbeschließt, sichberuflich neu aufzustellen. „Mein Arbeitgeber hat mich für ein Jahr beurlaubt und in dieser Zeit absolvierte ichdie blindentechnische Grundqualifizierung in der StiftungNiko- lauspflege hier in Stuttgart. Dort lernte ich unter anderem die Brailleschrift und wie ich JAWS, ein Computer-Steuerungs- programm, einsetzenkann“, erklärtAnnet- te Fröhlich, die mit der Beratung und Begleitung des Integrationsfachdienstes und der Unterstützung seitens des Integ- rationsamtes des Kommunalverbands Jugend und Soziales in Baden-Württem- berg, der Krankenkasse und der Renten- versicherungsehr zufrieden ist. „Manweiß ja selbst gar nicht, was da so alles geht.“ Mit altenMenschenarbeiten IhrWunsch, im systemischen Beratungsbereich neu Fuß zu fassen, ging nach diesem Jahr leider nicht in Erfüllung. „Ich habe hier in Stuttgart einfach nichts Passendes gefunden.“ Mit Unterstützung ihres alten Arbeitgebers fand sie dann ihre jetzige Stelle in der Altenhilfe. „Meine Hauptaufgabe liegt darin, die altenMen- schen zu aktivieren. Ich führe Gespräche, höre zu, singemit ihnen, zeige Fotos und bin einfach für sie da. Eine sehr befriedi- gende Aufgabe, bei der ich auch meine psychologischen Berufserfahrungen und Kenntnisse nutzen kann. Und ich glaube, ich mache das ganz gut!“, sagt Annette Fröhlich selbstbewusst. ■ Foto:Thomas Brenner Behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes mithilfe eines Bildschirmleseprogramms 12 ZB 3 I 2019

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