ZB Behinderung & Beruf 4/2019

RECHT ZB 4 I 2019 BEM-Beteiligung Interessenvertretung Leitsatz Das Ersuchen des Arbeitgebers um die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung des Betrieblichen Einglie- derungsmanagements (BEM) erfordert neben dem Hinweis auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten die Information, die Zustimmung zu einem BEM könne auch unter der Maßgabe erteilt werden, dass die betriebliche Interessenvertretung nicht beteiligt wird. BAG, Urteil vom 17.04.2019, 7 AZR 292/17 Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die Klägerin ist bei der beklagten Fluggesellschaft seit April 1989 beschäftigt und war seit 1993 als Flugbegleiterin tätig. Das Angebot, wegen häufiger Arbeitsunfähigkeitszeiten an einem BEM teilzuneh- men, lehnte sie ab. Nachdemder fliegerärztliche Sachverstän- dige die dauerhafte Flugdienstunfähigkeit der Klägerin feststellte, teilte die Beklagte der Klägerinmit, dass ihr Arbeits- verhältnis aufgrund tarifvertraglicher Regelungen zum Ende des Jahres 2015 enden werde. Sie erfragte gleichzeitig ihr Interesse an einer Tätigkeit am Boden. Dies bejahte die Klä- gerin. ImSeptember 2015 stellte der Medizinische Dienst fest, dass die Klägerin nicht in Nachtschicht eingesetzt werden könne. An einem daraufhin zwischen den Parteien geführten Gespräch war die Personalvertretung im Unternehmen nicht beteiligt. Mit einer arbeitsgerichtlichen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Tarifvertragsregelung. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, die Berufung und Revision wurden zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsge- richt (BAG) führte aus, die Voraussetzungen der auflösenden Bedingung des Tarifvertrags seien nicht eingetreten. Die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, dass keine Wei- terbeschäftigungsmöglichkeiten im Bodendienst bestehen würden. Ein ordnungsgemäßes BEM sei nicht durchgeführt worden, was seitens der Beklagten zu einer Erweiterung der Darlegungslast hinsichtlich des Nichtbestehens von Weiter- beschäftigungsmöglichkeiten führe. Die Durchführung des BEM sei nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil die Klägerin der Durchführung nicht zugestimmt hatte. Ihr sei das BEM nicht regelkonform angeboten worden. Es fehle die Informa- tion an die Klägerin, die Zustimmung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement könne auch unter der Maßgabe erteilt werden, dass die betriebliche Interessenvertretung nicht beteiligt werde. ■ Kündigung Beschäftigungsanspruch Leitsätze Der Arbeitgeber darf bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs eine unternehmerische Entscheidung treffen, welche den bisherigen Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Menschen durch eine Organisationsänderung entfallen lässt. Die sozia- le Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung hängt dann, bezogen auf das Beschäftigungsbedürfnis, allein von der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem ande- ren Arbeitsplatz ab. BAG, Urteil vom 16.05.2019, 6 AZR 329/18 Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die Parteien streiten über dieWirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Die insolvente Schuldnerin vereinbarte mit dem Betriebsrat im Unternehmen einen Interessenausgleichmit Namensliste, in der auch der schwerbehinderte Kläger als zu kündigender Arbeitnehmer aufgeführt ist. Das Aufgabengebiet des Klägers wird zukünftig gestrichen. Die bisherigen Hilfstätigkeiten werden von Kollegen übernommen. In der Kündigungsschutz- klage macht der Kläger geltend, die Kündigung sei wegen seiner Schwerbehinderung unwirksam. Das BAG führte aus, der Arbeitgeber dürfe eine unternehme- rische Entscheidung treffen, die den bisherigen Arbeitsplatz des schwerbehindertenMenschen durch eine Organisations- änderung entfallen lasse. Dessen Beschäftigungsanspruch sei erst bei der Prüfung etwaiger Weiterbeschäftigungsmöglich- keiten auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu berücksich- tigen. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX gebe dem schwerbe- hinderten Menschen keine Beschäftigungsgarantie. Ist eine Beschäftigung auf dembisherigen oder einemanderen freien Arbeitsplatz nicht möglich, sei der Arbeitgeber nicht verpflich- tet, für den schwerbehindertenMenschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten. Das SGB IX verlange auch nicht die Entlassung anderer Arbeitnehmer, um den Beschäftigungs- anspruch schwerbehinderter Menschen verwirklichen zu können. Die unternehmerische Entscheidung, den Arbeitsplatz einzusparen, sei gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Es sollen nur Kündigungen vermieden werden, die zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des verbleibenden Personals führen. Zudem solle verhindert wer- den, dass die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen. ■ 8

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