ZB Behinderung & Beruf 4/2019

9 ZB 4 I 2019 RECHT Rehabilitationsträger Hilfsmittel Leitsätze Der Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) ist gegenüber einem Anspruch auf medizinische Reha- bilitation nachrangig. [...] Ist ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung für einen bestimmten Arbeitsplatz bzw. eine konkrete berufliche Tätigkeit erforderlich und wird die- ses Hilfsmittel bei anderen beruflichen Tätigkeiten nicht benötigt, besteht der erforderliche enge berufsspezifische Zusammenhang und es handelt sich nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, sondern um eine LTA. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, seinen Beschäftigten eine persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen, umfasst nicht zugleich die Bereitstellung eines Hilfsmittels zur Wiederherstellung der Hörfähigkeit. SG Speyer, Urteil vom 19.10.2018, S 19 KR 650/17 Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die seit 2010 als Schichtführerin in einer lärmintensiven Produktion tätige schwerbehinderte Klägerin, die an beidseitiger Innenohr- schwerhörigkeit leidet, verlangt dieVersorgungmit speziellen Hörgerätenmit integriertem Lärmschutz, da die den Beschäf- tigtenwegen des erhöhten Lärmpegels zur Verfügung gestell- ten Hilfsmittel für sie nicht ausreichend seien. Ärztlicherseits wurde ihr bescheinigt, dass sie zusätzliche Versorgung am Lärmarbeitsplatz durch das Hörgerät mit integriertem Lärm- schutz benötigt. Ihr Antrag beim Rentenversicherungsträger wurde nach § 14 SGB IX an die Krankenkasse, die bereits einen Höchstsatz von 1.652 Euro anerkannt hatte, weitergeleitet. Das Sozialgericht (SG) Speyer sprach der Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit den begehrten Hörgeräten mit integriertem Lärmschutz als Leistung zur Teilhabe amArbeits- leben zu. Eine Leistungspflicht der Krankenversicherung bestehe nicht, wenn ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung für einen bestimmten Arbeitsplatz bzw. eine konkrete berufliche Tätigkeit erforderlich ist und dieses Hilfs- mittel bei anderen beruflichen Tätigkeiten nicht benötigt werde. Einen Vorrang der Pflichten des Arbeitgebers aus § 164 SGB IX gegenüber den Leistungen der Reha-Träger lehnte das Gericht ab. Die Pflicht des Arbeitgebers zur behinderungsgerechten Gestaltung der Arbeit könne von den Reha-Trägern nicht als Einwendung herangezogenwerden, umden eigenen Pflichten nicht nachzukommen. Nach § 185 Abs. 6 Satz 2 SGB IX dürften Leistungen der Reha-Träger nicht deshalb versagt werden, weil nach den besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen entsprechende Leistungen vorgesehen sind. ■ Außerordentliche Kündigung Präventionsverfahren Leitsatz Ein Arbeitgeber darf die amtsärztliche Untersuchung eines schwerbehinderten Beschäftigten nicht erst nach Durchfüh- rung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX a.F. anordnen. BAG, Urteil vom 25.01.2018, 2 AZR 382/17 Sachverhalt und Entscheidungsgründe Die Arbeitgeberin, eine Krankenkasse, ordnete auf der Grundlage einer manteltarif- lichen Regelung wegen Zweifels an der Arbeitsfähigkeit des schwerbehinderten Klägers dessen amtsärztliche Untersu- chung an. Der Kläger lehnte die Untersuchung mehrmals ab. Die Kündigungsschutzklage gegen die mit Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochene außerordentliche Kündi- gung wies das Arbeitsgericht zurück. Der Berufung gab das Landesarbeitsgericht (LAG) statt. In der Revision wies das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück. Es führte aus, das Landes- arbeitsgericht verkenne, dass die Anordnung einer amtsärzt- lichen Untersuchung auch ohne vorheriges Präventionsver- fahren erfolgen könne. Beide Verfahren stünden nicht in einem Rangverhältnis, sondern ergänzten einander. Auch könne die Arbeitsfähigkeit eines schwerbehinderten Arbeit- nehmers nicht durch die Einschaltung der in § 84 Abs. 1 SGB IX (alte Fassung) genannten Institutionen geklärt werden. Das Landesarbeitsgericht müsse die Grundlagen für eine nicht vorhandene Arbeitsfähigkeit überprüfen. Minder- und Schlecht- leistungen begründeten für sich genommen in der Regel keine berechtigten Zweifel an der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitneh- mers. Es müsse vielmehr Anlass zu der Besorgnis bestehen, der Gesundheitszustand des schwerbehinderten Arbeitneh- mers werde sich durch die Tätigkeit weiter verschlechtern. ■

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